Warum Burn-out keine Modeerscheinung ist und Urlaub überbewertet wird

Frank Wolf —  28. Oktober 2010 — 2 Comments

Wir schreiben hier im Blog viel über Technologien, die „Social“ sind. Im Kern geht es dabei immer um den Menschen und die Bemühung, die (Arbeits-) Welt um Ihn herum möglichst menschengerecht zu gestalten. Jörg Blume (www.syntony-gmbh.de), Trainer, Stresstherapeut und Gesundheitscoach antwortet im folgenden Interview auf Fragen zur Work-Live-Balance und zum Phänomen Burn-out. Wie ist es möglich, anspruchvolle Aufgaben zu meistern und dabei kerngesund zu bleiben? Was verantwortet jeder selbst und wobei ist die Kompetenz der Führungskräfte gefragt?

Wer sich heute noch nichts Gutes getan hat, dem sei dieses Interview wärmstens ans Herz gelegt.

Ist Burn-out nur eine Modeerscheinung oder tatsächlich ein neues Krankheitsbild unserer heutigen Arbeitswelt?

Burn-out ist beides nicht. Schon Goethe ging auf Italienreise, weil er, wie wir heute sagen, ausgebrannt war. Fest steht allerdings, dass heute immer mehr Menschen davon betroffen sind und eine Tendenz nach oben besteht.

Auch immer mehr ITler? Gibt es besonders gefährdete Berufsgruppen und Tätigkeiten?

Die mir bekannten Studien differenzieren die Wirtschaftszweige nicht so stark. Stark sind wohl Lehrer und Menschen in sozialen Berufen betroffen. Banker und Bankangestellte waren in den vergangenen Jahren verstärkt burn-out krank. Das hat jedoch tendenziell nachgelassen. Ich stelle fest, dass Menschen zunehmend stärker gefährdet sind und auch erkranken, die in Branchen arbeiten, die sehr schnell unterwegs sind. Also auch immer mehr ITler.

Burn-out zeigt sich so individuell wie wir Menschen unterschiedlich sind. Wie erkenne ich trotzdem erste Symptome?


Sehr oft will es der Betroffene gar nicht wahr haben und verdrängt Symptome. Dazu gehören abends nicht einschlafen und nachts nicht durchschlafen können. Der Mensch wird zynischer, ungeduldiger, der Umgangston härter, aggressiver, unfreundlicher als bisher. Im Grunde ist der Mensch auf mehreren Ebenen erschöpft. Er denkt immer negativer, verspürt Kopf- oder Rückenschmerzen, häufige Zipperlein, leidet unter Magenbeschwerden oder Bluthochdruck.

Da gibt es doch auch altbekannte Redewendungen…?

In den Sprüchen, „ich stehe das nicht durch“, „jeder hat sein Kreuz zu tragen“, „mir schlägt es auf den Magen“, „das stößt mir sauer auf“, usw. stecken kluge Beobachtungen. Sie beweisen zum einen, dass es gesundheitliche Belastungsreaktionen schon Jahrhunderte lang gibt und zum anderen, dass es sehr unterschiedlich ist, wie jeder Mensch reagiert. Gehen die Betroffenen zum Arzt, findet dieser oft nichts Organisches.

Und wann wird es gefährlich? Worin unterscheidet sich Burn-out von temporärer Erschöpfung?

Jeder hat mal eine schlaflose Nacht oder hängt mal durch und ist erkältet. Häufen sich diese Zustände allerdings und hat der Betroffene nicht ein kleines Kind, welches aus der Kita immer mal wieder eine Infektion mit nach Hause bringt, sollte der Mensch schon sehr ernst nehmen, was da mit ihm geschieht. Herzinfarkt, Hirnschlag oder andere schwere Erkrankungen sind dann die letzten und lebensgefährlichen Alarmsignale des Körpers.

Was kann ich selbst tun, wenn ich gefährdet bin und ein „Ausbrennen“ droht?

Das ist ganz schwer und schon gar nicht pauschal zu beantworten. Die meisten fühlen sich ausgeliefert und machen die Außenwelt, ihre Umgebung dafür verantwortlich, wie schlecht es ihnen geht. Dabei liefert die Umgebung nur den Reiz. Den analysieren wir unbewusst, reagieren emotional negativ, geraten in Dauerstress und langfristig ins Ausgebrannt sein. Im Grunde hilft, sich seiner eigenen Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Denkprozesse bewusst zu werden, die zu Stressreaktionen führen. Diese dann so zu ändern, dass eine innere Gelassenheit entsteht, verhindert eine schädliche Stressreaktion.

Ganz pragmatisch: Wenn beispielsweise der Stress aus der Angst resultiert, Ideen oder Aufgaben zu vergessen, ist es sehr hilfreich, sich diese aufzuschreiben – vor allem, wenn einem diese Befürchtung den Schlaf raubt.

Zu Situationen, die peinlich oder ärgerlich waren, kann man sich bewusst vornehmen: „Ich schieb’s beiseite“. Sich diesen Satz mehrere Minuten vorsagen hilft, zur Ruhe zu kommen und die eigene Haltung zu überprüfen.

Manchmal werden in Kuren Entspannungstechniken gelehrt oder der Mensch sucht im Urlaub Erholung. Ist das eine gute Möglichkeit, vom Stress weg zu kommen?

Was auch immer der Mensch für seine Entspannung tut, Yoga, Atemtechniken, Laufen oder Boxen, es bringt immer nur eine temporäre Erleichterung, eine „Stress-Pause“. Der Nachteil besteht auch darin, dass die meisten Entspannungstechniken erst erlernt werden müssen und dann die Anwendung Zeit kostet. Menschen, die gefühlt keine Zeit haben, werden das nicht machen. Erfolgsversprechender ist, zu forschen, was hat mich denn so stark beschäftigt? Was in meinem Wertesystem wird angesprochen? Was befürchte ich?

Urlaub wird absolut überbewertet. Wie kommt es denn, dass der Mensch nach nur zwei Tagen Arbeit sagt, er wäre wieder urlaubsreif? Wir werden mit den beruflichen und privaten Anforderungen konfrontiert, die uns schon vor dem Urlaub belastet hatten – und fühlen uns deshalb schnell wieder belastet, weil diese Anforderungen, Stressoren, nach wie vor bestehen. Sie lösen sich – leider – durch den Urlaub nicht in Luft auf.

Bin ich also auch selbst verantwortlich für den Stress am Arbeitsplatz oder nicht doch meine Führungskraft?

Ich bin immer selbst verantwortlich. Es gibt zwar die Fürsorgepflicht der Vorgesetzten, rechtliche Regelungen wie Arbeitsschutzgesetz oder Arbeitszeitgesetz, die dem Schutz von Mitarbeitern dienen. Die Eigenverantwortung für die eigene Gesundheit jedoch können Sie nicht delegieren.

Welchen Einfluss haben denn dann solche Initiativen wie Gesundheitstag, Lauftreffs, günstige Fitnessstudioangebote auf eine optimale Work-Life-Balance?

Ein Gesundheitstag kann sensibilisieren, nicht nachhaltig ändern. Und prüfen Sie doch mal selbst, wer ins vergünstigte Fitnessstudio geht. Sind es nicht sowieso die Leute, die ohnehin Sport machen? Auch Workshops zu Entspannungstechniken besuchen primär Menschen, die ohnehin eine Affinität zum Thema haben und oft nicht diejenigen, die wirklich zu den Burn-out Gefährdeten zählen.

Hilft ausrennen gegen ausbrennen?

Es schafft Abstand. Sport treiben hilft nur, abzuschalten und den Körper zu stärken und somit stressresistenter zu machen. Den bereits erlebten Stress kann kein Sport zurückdrehen. Die Schäden sind bereits entstanden.

Können Führungskräfte etwas tun, um ihre Mitarbeiter nicht dem Stress-Schicksal auszuliefern?

Im Unternehmen hilft eine gesunde Führungskultur. Sind die Führungskräfte klar in ihren Äußerungen oder „eiern“ sie herum? Treffen sie mutige und klare Entscheidungen oder bleiben sie nebulös? Beschäftigen sie sich mit ihren Mitarbeitern oder nehmen sie sich dafür keine Zeit? Einer der größten Stressfaktoren ist Orientierungslosigkeit. Führungskräfte können durch Klarheit eine Orientierung für ihre Mitarbeiter schaffen, die diesen hilft, in einem guten Leistungszustand zu sein.

Stärkenorientiertes Führen gehört ebenso zu einer gesunden Kultur. Es ist beispielsweise nur bedingt hilfreich, einen schlechten Präsentator mit der Absicht zu schulen, aus ihm einen guten Präsentator zu machen. Er würde sich bestenfalls zu einem mittelmäßigen entwickeln. Besser ist es, einen guten Präsentator zu einem exzellenten zu entwickeln. Dann stimmt auch die Motivation, denn der Mitarbeiter fühlt sich in seinem Element. Es ist erfolgreicher, Stärken zu entwickeln als Schwächen zu kompensieren.

Wenn Führungskräfte ihren Mitarbeitern richtig dosierte Freiräume geben, eine klare Orientierung und aussagekräftiges positives wie kritisches Feedback, werden sie unnötige Stressoren vermeiden.

Daran schließt sich die Frage an, wie kann ich mir selbst helfen?

Methoden, um sich wieder in einen guten Zustand zu versetzen, kann jeder lernen, und zwar lebenslang.
Es gibt auch Menschen, die bei guter Gesundheit und Lebensqualität ein Leben lang powern können. Diese haben fördernde Denkmuster verinnerlicht, z.B. in problematischen Situationen eher die Chancen zu sehen. Der Schlüssel zu allem liegt im Menschen selbst. Wir denken, handeln und bewerten uns selbst oder andere nach eingefahrenen, vertrauten Mustern.

Gönnen Sie sich doch einfach eine neue Lernerfahrung. Unser Gehirn ist lebenslang in der Lage, zu lernen, eingefahrene Muster zu verändern. Auch mit 80 Jahren können wir Klavier spielen lernen, Sprachen lernen, neue Verhaltensmuster anwenden.

Ist das alles „nur“ Kopfsache?

Im Grunde ja – Stress entsteht im Kopf. Aber er hat körperliche Auswirkungen. Nehmen wir zum Beispiel den Fakt, dass viele Menschen in den ersten zwei, drei Tagen ihres Urlaubs krank werden. Stress bewirkt im Körper die Produktion der beiden Hormone Cortisol und Adrenalin. Adrenalin hält das Immunsystem stark, baut sich bei Entspannung sehr schnell wieder ab. Cortisol dämpft das Immunsystem und baut sich viel langsamer wieder ab. Deswegen sind wir nach einer Dauerstress-Situation in den ersten Urlaubstagen anfällig für Infekte aller Art.

Auch Übergewicht kann die Folge von Stress sein. Es gibt auch glückliche korpulentere Menschen, unbenommen. Bei vielen reagiert der Körper aber in Stressreaktionen mit einem erhöhten Blutzuckerspiegel. Die Bauchspeicheldrüse produziert daraufhin mehr Insulin. Das ist ein Lagerarbeiter in unserem Körper. Der Blutzucker wird entweder als Vorrat in der Muskulatur gespeichert und wenn dort das Lager voll ist, als Fett abgelagert. Danach stellt sich bei sinkendem Blutzuckerspiegel wieder Hunger ein und der Kreislauf beginnt von vorn.

Weil wir gerade so schön pragmatisch sind: was tun diejenigen Projektleiter, die sich 24 Stunden lang verantwortlich fühlen?

Fühlen Sie sich doch einfach nur acht Stunden lang verantwortlich. Okay, war ein Spaß. Der Ernst dahinter meint, relativieren Sie ihre eigene Bedeutung. Fragen Sie sich konkret, ob das Projekt scheitern würde, wenn Sie jetzt nicht erreichbar sind. Würde die Welt stehen bleiben? Lernen Sie, zu delegieren und lernen Sie zu entscheiden, wen Sie mit in die Verantwortung nehmen.

Heißt das auch, nein sagen zu lernen?

Nein sagen, ist nicht angenehm. Es bringt Ihr Gegenüber auch in eine ausweglose, stressbeladene Situation. Im schlimmsten Fall wird der Fragende auch Ihnen nie wieder helfen. Suchen Sie gemeinsam nach Alternativen. Was genau brauchst Du in welcher Qualität bis wann? Finden Sie einen gemeinsamen Nenner. Dann können Sie „ja“ sagen, ohne sich dadurch selber zu überlasten.

Das Gespräch führte Rosa Hauch.

Trackbacks und Pingbacks:

  1. Simple Sample Blog - 1. November 2010

    Stress – Link…

    warum-burn-out-keine-modeerscheinung-ist-und-urlaub-uberbewertet-wird/…

  2. Burnout im Klartext « Scones20 bloggt - 2. November 2010

    […] Was ich meine? Den Text im Blog besser2.0 über “Warum Burn-out keine Modeerscheinung ist und Urlaub überbewertet wird“. […]

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